Seit Tagen bewege ich mich nur noch mit einem Apple-Gerät und Ohrstöpsel durch die Gegend. Ich höre Leuten aus der ganzen Welt zu, wie sie sich in der neuen App Clubhouse über Gott und die Welt unterhalten. Wenn mich jemand anspricht, winke ich energisch ab. Ich will nicht gestört werden. Es ist ein Erlebnis Menschen zuzuhören, die man manchmal kennt, häufig nicht, und man sich trotzdem angesprochen fühlt. Man muss nur das Händchen auf dem Bildschirm antippen und schon wird man aus dem Zuhörerraum auf die Moderatoren-Ebene geholt und kann mitreden, Fragen stellen oder seine Expertise einbringen. Alle Gespräche sind höflich, freundlich, interessiert. So geht Social Media, wie es sich wohl Zuckerberg oder Dorsey ursprünglich gewünscht haben. Aber bei ihnen hat sich – gelinde gesagt – die Büchse der Pandora geöffnet. 

Das Faszinierende – neben der Gesprächskultur – ist das demokratische Mitreden. Wer etwas besprechen möchte, eröffnet einen Raum, setzt eine Uhrzeit, organisiert bestenfalls noch zwei Co-Moderatoren und los geht es. Hörer kommen garantiert oder man lädt sie vorher ein. Einzige Voraussetzung ist ein Apple-Gerät und eine Einladung von jemand, der eine Clubhouse-Membership hat. 

Die Android-Welt wird momentan noch ausgesperrt, weil das App eine Betaversion und somit wirklich brandneu ist. Aber es schlägt bereits Wellen, wie seit Jahren kein zweites App. Unsere Isolation in der Pandemie beschleunigt wahrscheinlich den Erfolg. Unmengen von Menschen haben Zeit und Langeweile. Hungern nach Austausch und Aufmerksamkeit. Wie perfekt ist da ein App, wo nur die Stimme und das Gesagte wichtig sind. Ein urdemokratischer Podcast zum Mitreden. Flache Hierarchien, kein CEO-Townhall-Gedönse mit PowerPoint, kein Zoom-Meeting mit gequält geheucheltem Interesse. Gespräche auf Augenhöhe, so wie es New Work verspricht. Neulinge sind an der Konfettikanone in ihrem Profilbild zu erkennen. Das ist das Signal für den Welpenschutz. 

Jetzt wird im Clubhouse gerade experimentiert. Seien Sie nicht überrascht, wenn bald Ihr Kommunikations- oder PR-Experte auf Sie zu kommt und vorschlägt, dass Sie dringend ihre Expertise in diesem oder jenem Talk einbringen müssen, um ihre Profilierung zu unterstreichen. Spätestens dann hat die neue Plattform ihre Unschuld verloren. Geniessen wir sie noch verspielt und unverdorben.

Riccarda Mecklenburg, Vorstand Verband Frauenunternehmen, Co-Moderatorin «1-Satz-Literaturclub» auf Clubhouse

veröffentlicht in der Handelszeitung 4. Februar 2021 https://www.handelszeitung.ch/panorama/clubhouse-so-geht-social-media?utm_source=mail