
Stoiker versus Virus
«Zur Seelenruhe führen kann nur die Vernunft», schrieb der Stoiker und Staatsphilosoph Seneca vor knapp 2000 Jahren. Er hatte acht Jahre Verbannung auf einer damals noch Drittwelt-Insel namens Korsika hinter sich, einen verzogenen Kaiser namens Nero inthronisiert und war auf dubiosen Wegen reich geworden. Für sein Seelenheil und um die häufig tödlichen Intrigen am Kaiserhof und Senat auszuhalten, fokussierte er sich in erster Linie auf das Philosophieren, insbesondere auf die athenische Philosophenschule der Stoa. Seneca empfahl heitere Gelassenheit, Gleichmut und tugendhaftes Handeln, um so der toxischen Schnappatmung seiner Zeit entgegenzuwirken.
Diese Haltung könnte uns im Umgang mit der Corona-Pandemie hilfreich sein. Zum Beispiel etwas mehr Gelassenheit gegenüber den Massnahme zur Ausbremsung des Virus. Stattdessen gibt es sofortigen Protest, weil nicht jede Nische, jede kleinste Interessengruppe durch vorgängige Konsultation und Berücksichtigung bei den Kompensationsleistungen kontaktiert wurde. Da klagen die Bergbahnen seit Jahren, dass immer weniger Menschen in der Schweiz Ski fahren – und just in diesem Winter scheint die ganze Nation das Skifahren als identitätsstiftende Massenbewegung wiederzuentdecken. Wehe, man darf sich nicht zu hundert in die Gondeln drängeln. Dem Virus ist es egal, wo wir uns zusammenrotten. Hauptsache es ist kalt, eng und stickig.
Und wie wäre es mit etwas mehr Gleichmut, wenn uns Ärzte, Virologen, Journalisten und auch Verschwörungsanhänger mit nicht überprüfbaren, verwirrenden oder recht wunderlichen Informationen volltexten? Natürlich gibt es inzwischen etliche wissenschaftliche Erkenntnisse, die allerdings zum Teil in den letzten Monaten wieder revidiert werden mussten. Genauso gibt es aber bewährte Massnahmen, die sich für die Unterdrückung von Krankheiten seit Jahrhunderten bewährt haben: Abstand halten, Hände waschen, Masken tragen, sich isolieren, wenn man krank ist.
Mit Gleichmut etwas zu ertragen, verhilft zu der Gelassenheit, auch das Nichtwissen auszuhalten. Wir wissen nicht, wann das Virus weg sein wird, ob die Impfung uns für immer schützen oder ob sie Nebenwirkungen haben wird. Auch das ist dem Virus so lang wie breit. Aber mit unserer jammernden Unzufriedenheit über die Schutzmassnahmen machen wir uns kränker, als es das Virus könnte. Mein Wunsch für 2021: Mit etwas Vernunft zu mehr Seelenruhe.
Riccarda Mecklenburg, Founder CrowdConsul.ch


Du Niete, wieder nicht gewonnen


Bigotte Moral


Weg mit der Heiratssteuer
Heiraten, Familie gründen, Karriere verfolgen ist für Schweizer Männer okay. Für Frauen eher nicht. Denn es gibt noch immer typische helvetische Hindernisse, die einer Frau in den Weg gelegt werden, die nicht nur einfach Mutter sein will, sondern auch ihre Karriere im Fokus hat.
Zum Beispiel, dass Eheleute gemeinsam veranlagt werden und die Progression das wegfrisst, was gemeinsam erwirtschaftet wird. Ich weiss es noch wie heute, dabei ist es 20 Jahre her, als der Steuerberater mir sagte: «Es lohnt sich nicht, wenn Sie weiterarbeiten. Sie und ihr Mann müssen zu hohe Steuern bezahlen.»
Der Schock, dass ich, weil ich Mutter wurde und einen anspruchsvollen Managementjob hatte und der Ehemann als Unternehmer erfolgreich war, nun Vollzeitmami werden musste, war gross. Ich dachte sofort an meine Urgross- und Grossmutter. Beide hatten in Estland ihre Landgüter mit einer grossen Schar Kinder geführt. Meine Mutter kannte ich nur arbeitend in Deutschland – und nun sollte ich in der Schweiz mit Kindern rumsitzen? Ich fühlte mich abgewertet. Ständig musste ich mich rechtfertigen, weil ich arbeiten wollte. Und zwar weiterhin in meiner Position mit hundert Prozent. Ich habe es trotzdem gemacht und mehr Steuern bezahlt.
Für diesen Weg entscheiden sich aber nicht viele Frauen. Jahre später hatte ich frustrierte Mütter um mich, die keinen Wiedereinstieg in die Arbeit mehr fanden oder – wenn sie es schafften – klassische Bullshit-Jobs erledigen mussten. Ein Ausweg bietet die Selbständigkeit. Deswegen haben wir im Verband Frauenunternehmen sehr viele Unternehmerinnen mit kleinen Kindern. Aber das sind alles Ausweichstrategien, weil das Schweizer Steuerrecht keine Individualsteuer zulässt, sondern die gemeinsame Besteuerung verlangt.
Die sogenannte Heiratssteuer widerspiegelt ein Familienmodell, das nicht mehr in die Gegenwart passt. Daher ist es zu begrüssen, dass die FDP-Frauen zusammen mit Alliance F zum 50. Jubiläum des Frauenstimmrechts 2021 eine Volksinitiative zur Einführung der Individualsteuer lancieren. Durch die Individualsteuer werden berufstätige Ehefrauen nicht mehr steuerlich benachteiligt – und es lohnt sich für sie zu arbeiten. Als Folge würde sich hoffentlich auch die Diversität auf allen Kaderstufen verbessern, weil mehr Frauen im Job bleiben könnten. Die wohlfeile Ausrede, es fehle an qualifizierten Frauen würde dann genauso obsolet wie die ungerechte Heiratssteuer.
Riccarda Mecklenburg, Verband Frauenunternehmen, Founder CrowdConsul.ch

In einer anderen Galaxie


Dichtestress im Nirgendwo
Endlich Ferien. Ferien in meinem geliebten Mecklenburg. Auf 23’000 Quadratkilometern verlieren sich 1,6 Mio. Einwohner. Weites Land, ewige Felder, bis zum Horizont Baumalleen, Kraniche und Störche in erfreulicher Anzahl und das Alltagstempo spiegelt Beschaulichkeit. Wir, die Einwohner und Touristen kommen uns also normalerweise kaum in die Quere. Mit Stolz verweist die Landesregierung auf die niedrigsten Corona-Infektionen in ganz Deutschland. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sich so viele Freunde und Bekannte aus der Schweiz bei uns angemeldet haben. Das Risiko, sich hier anzustecken, ist gleich null. Denn das Corona-Quarantäne-Regime in Meck-Pomm, wie es liebevoll verkürzt wird, war auch das strengste in ganz Deutschland. Die Landesgrenzen wurden dicht gemacht. Auf der Autobahn konnte man im Transit nach Polen oder Brandenburg reisen, aber Abfahren und längere Zwischenstopps waren verboten. Wie damals vor 30 Jahren – nur jetzt mit Bananen und Lidl.
Nun sind die Landesgrenzen wieder offen und Mecklenburg ist so ausgebucht wie noch nie. Plötzlich gibt es Staus, Warteschlangen und Begegnungen an Orten, die eigentlich nur Traktoren kennen. Die Restaurants in den Dörfchen sind voll. Während die Hamburger Innenstadt immer noch leer aussieht, stapeln sich die Besucher an der Ostsee. Als Massnahme gegen diese Touristenschwärme hat man hat ein Ampelsystem eingeführt. Schon weit vor der Anreise wird mit Farben signalisiert, wo noch Platz ist. Bei Gelb, lohnt es sich kaum mehr, das Ziel anzusteuern, bei Rot ist gar kein Betreten mehr möglich. Tagesausflüge sind sogar ganz untersagt. Das müsste man sich mal in der Schweiz vorstellen. Titlis, Rigi, Jungfraujoch oder Bellevue-Quai ohne Tagestouristen. Nur wer mehrtägige Hotelübernachtung nachweisen kann, ist willkommen. Zusätzlich gilt bei der Einreise nach Mecklenburg, dass man nur aus Gegenden und Ländern kommen darf, die nicht mehr als 50 Neuinfektionen auf 100’000 Einwohner pro Tag haben. Massentourismus reloaded: Lieber auf Umsatz verzichten als Viren einschleppen. Trotzdem klappt es nicht ganz. Die ersten Besucher aus der Schweiz haben sich bei uns schon gleich entschuldigt und abgemeldet: Ein Teil der Familie liegt im Hotelzimmer mit Fieber und Gliederschmerzen im Bett. Genau diese Pechvögel wollten wir nicht hier oben haben.
Riccarda Mecklenburg, Founder CrowdConsul.ch

Arbeiten im Flüsterton
Ich liebe meinen Coworking-Space. Jeder, der zum ersten Mal reinkommt, ist überrascht wie schön er eingerichtet ist. Erkläre ich, dass es ein Frauen-Coworking-Space ist, verstehen sofort alle, warum er so eingerichtet ist, als ging es um «Schöner Wohnen» und gleichzeitig kommt die Frage: «Darf ich als Mann da überhaupt rein?» «Ja natürlich, aber nur gewaschen und flüsternd», ist dann meine charmante Antwort.
100’000 Coworking-Plätze sollen in den nächsten Jahren ausserhalb von urbanen Hotspots entstehen. So lautete das Postulat, dass sieben Nationalräte aus allen grossen Parteien vergangene Woche beim Bundesrat eingereicht haben. Der Bund soll diese Form des Arbeitens fördern. Eigentlich eine tolle Idee, denn aus eigener Erfahrung weiss ich, dass meine Entscheidung in einem Coworking-Space zu arbeiten, mein Startup enorm professionalisiert hat. Dank Digitalisierung reichen für etliche Startups ein gutes WLAN, ein Laptop, ein Handy und ein paar clevere Apps und das Remote-Startup kann loslegen.
Man arbeitet vernetzt zusammen, aber nicht gemeinsam von einem Ort aus. Seit COVID-19 wissen etliche die Vorteile des eigenen Homeoffices zu schätzen, aber auch das hat seine Grenzen. Entweder wird der Platz zu knapp oder die Einsamkeit zu gross. In diesem Fall kann man wieder ins normale Office wechseln, aber als Remote-Startup sitzt man dann in Cafés, die zu laut, zu ältlich, zu hässlich oder zu zugig sind. Und das Problem der physischen Meetings ist auch nicht gelöst. Daher sind Coworking-Spaces perfekt. Hinzu kommt noch, dass wir uns untereinander austauschen. Man fragt sich gegenseitig, bekommt Tipps, vernetzt sich, gibt Erfahrungen weiter. Will ich etwas über Trends erfahren, frage ich die Mode-Influencerin am Nebentisch, brauche ich Erklärungen für neue Tools frage ich die blasse Kollegin mit der Nerdbrille und den roten Augen.
Diese moderne Form der Arbeitswelt ist eine grossartige Entwicklung, bleibt in der Regel aber den urbanen Zentren vorbehalten. Daher verstehe ich die Nationalräte, die diese Idee auch in die Regionen und in ländliche Gebiete tragen wollen. Aber ob es dann gleich wieder eine staatliche Förderung braucht, bezweifle ich. Warum können nicht Firmen aktiv werden, die in den Regionen verankert sind. Wie viele Geschäfte stehen leer und könnten mit neuen Konzepten belebt werden? Lasst die Ideen, die Initiativen und den Unternehmergeist wirken und erspart dem Bundesrat die Aufgabe, auch noch hier eingreifen zu müssen. Wir haben schon genug Nanny-Staat.
Riccarda Mecklenburg, Founder CrowdConsul.ch
Erschienen in der Handelszeitung Nr. 26, 25.6.2020

Projekt: «Trumper Media Ldt.»
Jetzt habe ich die absolute A****-Karte gezogen. @Potus meint, dass ich ihm als sein Chief National Intelligence Social Media Officer, hopp, hopp eine neue Twitterplattform bauen soll. Ich bin doch kein Programmierer! Soll er doch den Zuckerberg oder den Thiel fragen. Oder Putin und seine Trolle. Jetzt wo sich @Potus es mit allen verscherzt hat, ist er wieder am Amoklaufen. Ich hatte mich ja schon vor einem Jahr gefreut, dass Twitter androhte, ihn zu zensieren. Aber, dass ich jetzt derjenige bin, der die Suppe auslöffeln muss, damit hatte ich nicht gerechnet. Was passiert, wenn ihn Twitter ganz sperrt? Und das mitten im Wahlkampf? Könnte er diese defizitäre Plattform nicht einfach als Präsident beschlagnahmen? Ein Versuch wäre es doch wert. Kriegswichtige Erfindung! Oder zwingende militärische Kommunikationsplattform. Ich müsste mal so einen alten Haudegen fragen. Lebt Donald Rumsfeld noch?
So eine asoziale Social-Media-Plattform wäre aber noch eine clevere Erfindung. Alle Diktatoren könnten Lizenzen erwerben und ihre Bevölkerung zwingen, diese App zu installieren. Mit einer Bluetooth Schnittstelle könnten man herausfinden, wer es nicht installiert hat. Und dann unter Gulag-Androhung diejenige tracken, die sich weigern die Botschaften des geliebten Führers zu lesen. Das wäre doch ein Geschäftsmodell. Und natürlich ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet. Nur Likes und Weiterleiten ist möglich. Likes entstehen schon automatisch, wenn die Message aufpoppt. Zensur gibt’s keine. Er darf schreiben und behaupten, was er will. Und natürlich sind Bots als Follower unbeschränkt erlaubt. Als Name für die Plattform würde ihm sicher «Trumper» gefallen. Logo: Sein Profil oder das Twitter-Vögelchen mit blonder Tolle. Das ist natürlich für ihn reserviert. Das Logo würde immer angepasst werden an den jeweiligen Potentaten, der die Lizenz erwirbt. Wir könnten das unter Entwicklungshilfe in den jeweiligen Ländern vertreiben. Jetzt wo wir nicht mehr in der WHO sind, wäre das doch eine gute Tat.
Am besten wäre es gleich eine Firma zu gründen. Mit Sitz in Delaware und Briefkasten in Washington. Adresse: Weisses Haus. Der Domain-Check sagt, dass «Trumper.media» und «Supertrumper-Media.one» noch frei sind. Das ist doch genial. Ich glaube, ich rufe ihn an und schlage ihm das vor. Schriftliches Konzept bringt nichts. Er liest sowieso nichts. Unglaublich wie kreativ ich heute war…
Riccarda Mecklenburg, Founder CrowdConsul.ch. Kolumne wurde in der Handelszeitung Nr. 23 vom 4. Juni 2020 abgedruckt.

Nannystaat: Dein Name sei Corona
Letzte Woche war ich bei meiner Coiffeuse. Schon am Telefon hatte sie mir mitgeteilt, dass ich draussen vor der Türe warten müsse, bis sie mir aufmachen würde. Ferner gäbe es nichts zu trinken und nichts zu lesen. Ich müsste eine Maske mitbringen oder könne eine bei ihr erwerben. Meine selbstgenähte Maske ginge nicht. So weit so schlecht. Zum Coiffeur gehe ich zweimal im Jahr und es ist für mich etwas Besonderes. Es ist eine Form von Wellness. Es dauert auch entsprechend lang und hat seinen Preis.
Was dann aber folgte, war eine mittlere Tortur. Mit den Gummihandschuhen verhedderte sich meine arme Coiffeuse dauernd in meinen langen Haaren und riss an ihnen. Ich war kurz davor, die Übung abzubrechen. Nach drei Stunden war das Drama zu Ende und ich habe mir geschworen, dass ich nicht mehr zum Coiffeur gehe, so lange das Corona-Panik-Regime verordnet ist. Das BAG, das alle diese Vorgaben gemacht hat, damit Coiffeure wieder aufmachen dürfen, sind ausgerissene Haare wurscht. Aber meiner Coiffeuse war es peinlich und mich hat es geärgert.
So wird es vielen gehen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen Menschen auf die Strasse gehen, die daran erinnern, dass die Freiheit des mündigen Bürgers über den überdrehten und planlosen Massnahmen von Beamten steht. Sicher ist es wichtig, dass der Staat zu seinen Bürgern schaut und sie schützt. Aber jetzt kippt es in eine unerträgliche Bevormundung. Wie nun Wirte ihre Beizen eröffnen oder Coiffeure die Haare pflegen, sollte nicht bis in jedes Detail von BAG-Beamten vorgegeben werden.
Ob wir nun durch eine digitale Blockwart-App wie dieses Tracing- oder Tracking-System zu mehr Sicherheit kommen, ist ungewiss. Was nutzt es mir zu wissen, dass ich in der Nähe von einem Infizierten war, ausser dass es mich in Panik versetzt? Panik ist kein guter Ratgeber. Das nährt nur Phobien, befeuert Verschwörungstheorien und provoziert Trotzreaktionen. Besser wäre es auf die Mündigkeit der Bevölkerung zu setzen als den Nannystaat zu zementieren. Das Virus wird gefährlich bleiben, solange es keinen Impfstoff gibt. Also braucht es mehr Distanz untereinander, aber das soll jeder selber regeln. Dass zwei Meter genügen, weiss inzwischen jeder. Dass Massenveranstaltungen und Begrüssungsküsschen ungesund sind, wissen wir auch. Masken tragen ist okay. Aber es darf kein Thema sein, dass sechs oder sieben Jugendliche zusammenstehen und rumblödeln oder meine Coiffeuse mir ohne Gummihandschuhe die Haare pflegt.
Riccarda Mecklenburg, Founder CrowdConsul.ch
Erschienen in der Handelszeitung Nr. 20 vom 14. Mai 2020

Kevin Home Alone
Ist ihr Chef auch so ein digitaler Kevin? Ja, ich weiss, es ist gemein, diesen Namen so zu missbrauchen und ich kenne auch einen Kevin, der ist Astrophysiker. Aber so ist es eben. Jede Zeit hat Stellvertreternamen für ihre Dödel.
Also: Kevin rennt jeden Tag trotz verordnetem Homeoffice in die Firma und sitzt dort herum. Er weigert sich beharrlich, mit Remote-Tools zu arbeiten. Video-Konferenzen sind ihm ein Gräuel, weil er nicht weiss, wie es geht und er zu eitel ist, zu fragen. Sich mit seinem Laptop mit anderen über Plattformen wie Slack oder Trello auszutauschen, wäre sein Albtraum. Denn er kann es nicht und will es auch nicht lernen. Lieber gibt sich Kevin keine Blösse, sondern kultiviert die Mär vom unermüdlichen Einsatz des Chefs für die Firma. Denn einer muss ja noch vor Ort sein und die Stellung halten. Und das am besten mit Dauerpräsenz. So weit, so gut, denn wäre er allein in der Beletage, wäre das ja auch eine Form von Quarantäne.
Aber so funktioniert die Corporate-Ebene nicht. Der Chef braucht seinen Stab vor Ort. Und das wissen alle, die das Prinzip der «Karriere Sau» von Adel Abdel-Latif verinnerlicht haben. Also sind auch alle Ehrgeizlinge um den Chef herum. Homeoffice ist was für Weicheier. Diejenigen, die nach oben wollen, stehen stramm beim Chef.
Wunderbar, endlich ist die harte Truppe um den Digial-Dino versammelt und sie könnten in Ruhe arbeiten. Nur fehlen leider die Untergebenen, die man sonst den ganzen lieben Tag lang mit Geschwätz und Nullrelevanz-Aufgaben beschäftigen kann. Die sind nämlich brav im Homeoffice, üben das horizontal vernetzte Arbeiten mit digitalen Tools und bemerken schnell, welche Abläufe innerhalb von alten Organisationsstrukturen durch die Digitalisierung verbessert werden können. Sie vermissen keine Sekunde die vertikalen Strukturen, die Hierarchie, die Lehmschichten, die alles mühsam und undurchlässig machen. So ist es nicht verwunderlich, dass die ersten Befragungen zur Mitarbeiterzufriedenheit beim Thema Homeoffice recht positiv ausfallen. Vorausgesetzt, man hat nicht Klein- oder Schulkinder zusätzlich zu betreuen.
Also was machen unsere Kevin-Dino-Getreuen nun so alleine? Sie schreiben Konzepte. Konzepte für die Zeit nach Corona. Konzepte, wo die Corporate-Etage noch Systemrelevanz hätte, aber in Tat und Wahrheit geht es auch ohne sie.
Erschienen in der Handelszeitung, Nr. 17, 23.4.2020