
Scharfer Schnitt

«Operation Senegal» heisst das Projekt, das ich seit ein paar Wochen begleite. Die engagierte Frau, die ich bei ihrem Crowdfunding-Projekt berate, möchte am Stadtrand von Dakar in einem Armenspital einen OP-Saal für die Maternité einrichten. Jedes Jahr sterben dutzende von Müttern, weil es Geburtskomplikationen gibt. Die Crowdfunderin, eine Pflegefachfrau, kennt die Rahmenbedingungen vor Ort. Ich mag engagierte Menschen. Es ist nicht nur für meine Kunden ein kleines Abenteuer ein Crowdfunding zu machen, sondern auch ich lerne jedes Mal etwas Neues hinzu. Diesmal war es eine an Schwachsinn grenzende Erste-Welt-Verschwendung:
Als sich abzeichnete, dass wir die benötigte Summe nicht zusammen bekommen, haben wir Kontakt mit der Organisation Hiob aufgenommen. Bei Hiob landen die ausgemusterten Spitalausstattungen der Schweiz. Alle Geräte, Materialien, Ausrüstungen, die Spitäler nicht mehr benutzen, findet man dort. Zum Beispiel: Ein Regal voll mit Sterilisationsapparaten. Denn, so lautete die Begründung auf mein Nachfragen hin, das Sterilisieren lohne sich nicht, da die Personalkosten in der Schweiz dafür zu hoch seien. Deswegen werden inzwischen nur noch Einweg-Scheren, -Pinzetten, -Zangen, -Spachtel etc. benutzt. Und nach einmaligem Gebrauch entsorgt.
Ergo waren in den Lagerhallen der Organisation wäschekörbeweise ausgemusterte Scheren, Pinzetten, Zangen in allen Grössen und Formen zu finden. Beeindruckt von dieser Menge, fragte ich bei meiner Hausärztin nach, wie sie es mit dem Sterilisieren und Wiederverwenden bei sich in der Praxis halte. Die Antwort war ernüchternd: Ja, sie sterilisieren noch alles. Aber die Arbeit des Sterilisierens wird nicht vergütet. Würde sie hingegen eine Einwegschere benutzen, könnte sie das als Aufwand bei der Krankenkasse als Taxpunkt abrechnen. Sie zeigte mir ein Muster von einer Wegwerfschere, die sie von einem Vertreter bekommen hatte. Ein hochwertiges Produkt, rostfreier Stahl, steril verpackt. Made in Pakistan, war auf dem Etikett zu lesen. Diese Schere hat einiges an Energie und Stahl gekostet, wurde steril verpackt in die Schweiz transportiert, um dann nach ein paar Schnitten im Müll zu landen. Einfach weil man es abrechnen kann. Weil unser System so ist. Falls Sie sich wundern, warum die Krankenkassenprämien steigen, schauen Sie mal bei Hiob vorbei.
Riccarda Mecklenburg, Founder CrowdConsul.ch

Ein OP-Saal um Mütter zu retten
Letzten Oktober kam Rosaria Mazzillo auf mich zu und fragte nach Unterstützung für ihre Crowdfunding Idee. Sie war vor Jahren mit dem Centre de Santé Golf Sud in Kontakt gekommen. Das ist ein Armenspital am Stadtrand von Dakar. Als Pflegefachfrau bekam sie schnell Kontakt und Einblick zu den Ärztinnen und Pflegenden. Durch das Gespräch mit der Chefhebamme, erfuhr Rosaria, dass im Spital leider eine zu hohe Anzahl von Müttern bei der Geburt sterben, weil es Komplikationen gibt. Im Spital fehlt ein OP-Saal. Die Räume sind samt Anschlüsse da, aber die Ausstattung fehlt. Das Spital kann diese Beträge nicht erwirtschaften um einen OP-Saal einzurichten. Deswegen nahm Rosaria dieses Problem an und setzte ein Crowdfunding auf. Hier ist der Link zum Unterstützen: Ein OP-Saal um Mütter zu retten
Und im Video erklärt sie mehr zum Projekt. Danke für jede Hilfe.

Helvetia ruft: 50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht
Daher ist das 50 Jahre Jubiläum zum Frauenstimmrecht eine respektvolle Referenz an die Frauengenerationen, die das erkämpft haben. Aber das Jubiläum hat nichts mit der heutigen Generation zu tun. Denn daraus kommt keine Kraft und Energie für die Herausforderungen, die sich uns jetzt stellen. Es ist eher ein Menetekel, eine Warnung, was passiert, wenn eine vormals moderne Gesellschaft (Einführung der direkten Demokratie 1848) stehen bleibt und sich auf ihren Lorbeeren (Abstimmen dürfen nur Männer) ausruht. Deswegen meine nächste Provokation: Wenn sich das Leben nur noch um die persönliche Fitness und den dellenfreien Po für das Instagram-Profil dreht, dann muss man sich nicht wundern, wenn es mit der seriösen Karriere, mit der Übertragung von Verantwortung und somit auch Macht, hapert. Karriere zu machen, heisst sich in den Wettbewerb mit Wissen, Fähigkeiten, Ausdauer und Durchsetzung zu werfen. Wer das scheut, wer das nicht will, weil man sich nur mit sich selbst beschäftigen möchte, darf sich nicht beschweren, wenn sich karrieremässig auch da nichts bewegt. Einen Jagdhund, den man zur Jagd tragen muss, braucht man nicht.
Ein Beispiel zu diesem Thema: AllianceF ist die grösste und wichtigste politische Interessenvertretung für die Anliegen von Frauen zum Thema Gleichberechtigung. Der Dachverband will das Jubiläum zum Frauenstimmrecht mit einem Event am 1. August auf dem Rütli feiern. Dieser historische Ort ist sehr passend, um an die direkte Demokratie zu erinnern, die nur den Männern zustand. Wäre das jetzt die einzige Feierlichkeit, die sich AllianceF ausgedacht hätte, wäre ich enttäuscht, denn da passiert nichts. Es wäre ein typischer Mimimi-Anlass. Absolut grossartig finde ich hingehend die Initiative, die AllianceF gestartet hat, um Hatespeech zu stoppen. Sie programmieren einen «Bot Dog» der sexistische und erniedrigende Kommentare in Social Media und in Online-Medien aufspürt. Damit wollen sie aufzeigen, mit welchem Hass Frauen im Netz konfrontiert sind und es wird Counter Speech dagegen eingesetzt. Die Programmierung des Algorithmus läuft und der «Bot Dog» wird realisiert. Das ist der Weg, von dem ich spreche. Die engagierten Frauen von AllianceF fokussieren sich nicht auf die beschämende Vergangenheit, sondern arbeiten an einer besseren, gleichberechtigten Zukunft. Helvetia ruft. Feiern wir unsere Grossmütter und Mütter. Aber engagieren wir uns weiter mit Ehrgeiz, Kreativität, Unternehmertum und Weitsicht, damit wiederum unsere Enkeltöchter stolz auf unsere Frauengenerationen sein können.
Riccarda Mecklenburg, designierte Präsidentin vom Verband Frauenunternehmen VFU, Inhaberin von CrowdConsul, Founder von What the Hack, Stiftungsrätin Zürcher Journalistenpreis wohnt in Weiningen bei Zürich. Der Artikel ist in Ladies Drive erschienen:

Lehrlinge in Not
«Habe meine Lehrstelle wegen Corona verloren, was soll ich tun?» fragte ich die Suchmaschine Google, um zu erfahren, welchen Rat ich erhalte, wenn ich diesen Hilferuf eingebe. Wohlgemerkt, ich habe diese Suchanfrage aus der Schweiz gestartet. Auf der ersten Seite wurden mir fünf Artikel von verschiedenen Print-Medien angezeigt, dann folgte ein Ergebnis von der deutschen Gewerkschaft Verdi zum Thema: «COVID und Jobverlust», dann etwas von einem deutschen Ausbildungsportal für Lehrlinge und als letzter Link etwas vom vpod.ch von Mai 2020: «Deine Rechte in der Ausbildung». Corona und Berufsbildung scheinen in der Schweiz kein Problem zu sein. Oder, wie soll man das verstehen, dass keine Behörde, kein RAV, kein Verband, keine Gewerkschaft dazu aktiv im Netz Hilfe anbietet?
Wie anders tönen die Gespräche der Freunden meiner Jungs: «Der X hat seine Lehrstelle verloren, weil der Betrieb pleite ist.» Und: «Wenn er nicht innerhalb von drei Monaten eine neue Lehrstelle findet, muss er die Berufsschule verlassen.» Oder: «Die Y wollte gerne schnuppern gehen, aber kommt nirgendwo rein.» Oder: «Der Kollege mit der so coolen Lehrstelle ist auf Kurzarbeit und erhält kein Geld.» «Der andere Kollege ist im Homeoffice und verzockt die Zeit, weil er nichts zu tun hat.» Aha. Die Liste lässt sich beliebig vorsetzen: Die Angst, keine Lehrstelle zu finden, vom Lehrbetrieb nicht übernommen zu werden, obwohl es einem in Aussicht gestellt wurde, die Sorgen, sich nicht richtig für die Prüfungen vorbereiten zu können, sind schmerzhafte Realität geworden!
Ein bitterer Nachgeschmack entsteht, wenn man realisiert, dass die junge Generation die Schuldenberge der Pandemie bezahlen muss. Der momentane Fokus konzentriert sich auf die Menschen, die schon lange das Erwerbsleben hinter sich haben oder in der Pflege Höchstleistung erbringen müssen. Das ist sicher richtig. Aber den ganz harten Preis zahlen die Kinder und insbesondere die Jugendlichen. Ihr soziales Leben läuft auf Sparflamme, sie sind im Home Schooling auf sich gestellt, die Ausbildungsaussichten haben sich verschlechtert und mit ihren Sorgen und Nöten werden sie – bestenfalls – zu überlasteten Psychotherapeuten geschickt. Fünf Jahre lang werden die Folgen der Coronakrise in der dualen Berufsbildung zu spüren sein, ist die Erkenntnis aus einer neuen Studie der Universitäten Bern und Zürich. Wie schlimm muss es noch werden, damit diese Lockdown-Politik aufhört?
Riccarda Mecklenburg, Vorstand Verband Frauenunternehmen, Founder CrowdConsul
Die Kolumne erschien in der Handelszeitung vom 25. Februar 2021


Clubhouse: So geht Social Media
Seit Tagen bewege ich mich nur noch mit einem Apple-Gerät und Ohrstöpsel durch die Gegend. Ich höre Leuten aus der ganzen Welt zu, wie sie sich in der neuen App Clubhouse über Gott und die Welt unterhalten. Wenn mich jemand anspricht, winke ich energisch ab. Ich will nicht gestört werden. Es ist ein Erlebnis Menschen zuzuhören, die man manchmal kennt, häufig nicht, und man sich trotzdem angesprochen fühlt. Man muss nur das Händchen auf dem Bildschirm antippen und schon wird man aus dem Zuhörerraum auf die Moderatoren-Ebene geholt und kann mitreden, Fragen stellen oder seine Expertise einbringen. Alle Gespräche sind höflich, freundlich, interessiert. So geht Social Media, wie es sich wohl Zuckerberg oder Dorsey ursprünglich gewünscht haben. Aber bei ihnen hat sich – gelinde gesagt – die Büchse der Pandora geöffnet.
Das Faszinierende – neben der Gesprächskultur – ist das demokratische Mitreden. Wer etwas besprechen möchte, eröffnet einen Raum, setzt eine Uhrzeit, organisiert bestenfalls noch zwei Co-Moderatoren und los geht es. Hörer kommen garantiert oder man lädt sie vorher ein. Einzige Voraussetzung ist ein Apple-Gerät und eine Einladung von jemand, der eine Clubhouse-Membership hat.
Die Android-Welt wird momentan noch ausgesperrt, weil das App eine Betaversion und somit wirklich brandneu ist. Aber es schlägt bereits Wellen, wie seit Jahren kein zweites App. Unsere Isolation in der Pandemie beschleunigt wahrscheinlich den Erfolg. Unmengen von Menschen haben Zeit und Langeweile. Hungern nach Austausch und Aufmerksamkeit. Wie perfekt ist da ein App, wo nur die Stimme und das Gesagte wichtig sind. Ein urdemokratischer Podcast zum Mitreden. Flache Hierarchien, kein CEO-Townhall-Gedönse mit PowerPoint, kein Zoom-Meeting mit gequält geheucheltem Interesse. Gespräche auf Augenhöhe, so wie es New Work verspricht. Neulinge sind an der Konfettikanone in ihrem Profilbild zu erkennen. Das ist das Signal für den Welpenschutz.
Jetzt wird im Clubhouse gerade experimentiert. Seien Sie nicht überrascht, wenn bald Ihr Kommunikations- oder PR-Experte auf Sie zu kommt und vorschlägt, dass Sie dringend ihre Expertise in diesem oder jenem Talk einbringen müssen, um ihre Profilierung zu unterstreichen. Spätestens dann hat die neue Plattform ihre Unschuld verloren. Geniessen wir sie noch verspielt und unverdorben.
Riccarda Mecklenburg, Vorstand Verband Frauenunternehmen, Co-Moderatorin «1-Satz-Literaturclub» auf Clubhouse


Post traumatisch
Erinnern Sie sich noch an diese kleinen grünen Zollzettel von der Post? Sicher. Wenn man etwas ins Ausland verschicken wollte, füllte man so einen aus. Schnell deklarierte man den Inhalt, schrieb noch einen fiktiven Warenwert von ein paar Franken dazu und weg war das Geschenk oder die vergessenen Kleinigkeiten vom Besuch. So simpel war das. Tempi passati.
Heute ist es kompliziert. Es fängt damit an, dass man drei Franken bezahlen muss, wenn die Schalterverantwortliche, die Zolldeklaration ausfüllt. Wenn Sie dieses Geld sparen möchten, bekommen Sie einen Zettel mit einem QR-Code. Diesen soll man mit dem Handy scannen und die Maske, die sich dann öffnet, muss man ausfüllen. Dann wird ein Strichcode generiert und mit diesem können Sie sich erneut am Schalter anstellen. Falls man kein Smartphone hat, soll man es Zuhause am PC machen. Aha. Dafür bin ich also zur Post gegangen, um dann unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt zu werden? Und was ist mit den Menschen, die keinen PC haben? Ich scanne also den QR-Code, die Deklaration öffnet sich, schnell ausfüllen, und… das Abschicken geht nicht. In der Software ist ein Bug. Nichts passiert. Auch am Schalter herrscht Ratlosigkeit. Mein Vorschlag – da die Seite nicht funktioniert, soll die Schalterverantwortliche die Deklaration ausfüllen und auf die Gebühr verzichten. Nein das geht nicht. Ihre Dienstleistung kostet drei Franken. Keine Diskussion. Ich soll es Zuhause am PC machen oder die Hotline anrufen. Die Hotline kostet selbstverständlich auch wieder ein paar Franken. 15 Minuten später nach Warteschlaufen und Support, war endlich ein Strichcode in meiner Mailbox angekommen. Der ganze Ärger kostete dann per B-Post nur noch die Kleinigkeit von 13.50 Franken. Ganz nach dem Motto: Wir leisten etwas weniger, dafür kosten wir etwas mehr.
Im Zeitalter, wo sich die Post dank dem Online-Handel mit Amazon und Co eine goldene Nase verdient, wird man als Privatkunde geradezu misshandelt. Statt, dass man die Digitalisierung zu einer Vereinfachung von Abläufen und Kundenfreundlichkeit nutzt, verkehrt sich alles ins Gegenteil. Früher kostete es ein paar Minuten. Jetzt verliess ich nach 40 Minuten Hürdenlauf schlecht gelaunt den Schalter, da es mich unnötig viel Zeit, Geld und Energie gekostet hat. Und ich habe ein Post Trauma, bei der Vorstellung, dass ich den Monopolisten fast nicht umgehen kann.
Riccarda Mecklenburg, Vorstand Verband Frauenunternehmen, Founder CrowdConsul.ch


Stoiker versus Virus
«Zur Seelenruhe führen kann nur die Vernunft», schrieb der Stoiker und Staatsphilosoph Seneca vor knapp 2000 Jahren. Er hatte acht Jahre Verbannung auf einer damals noch Drittwelt-Insel namens Korsika hinter sich, einen verzogenen Kaiser namens Nero inthronisiert und war auf dubiosen Wegen reich geworden. Für sein Seelenheil und um die häufig tödlichen Intrigen am Kaiserhof und Senat auszuhalten, fokussierte er sich in erster Linie auf das Philosophieren, insbesondere auf die athenische Philosophenschule der Stoa. Seneca empfahl heitere Gelassenheit, Gleichmut und tugendhaftes Handeln, um so der toxischen Schnappatmung seiner Zeit entgegenzuwirken.
Diese Haltung könnte uns im Umgang mit der Corona-Pandemie hilfreich sein. Zum Beispiel etwas mehr Gelassenheit gegenüber den Massnahme zur Ausbremsung des Virus. Stattdessen gibt es sofortigen Protest, weil nicht jede Nische, jede kleinste Interessengruppe durch vorgängige Konsultation und Berücksichtigung bei den Kompensationsleistungen kontaktiert wurde. Da klagen die Bergbahnen seit Jahren, dass immer weniger Menschen in der Schweiz Ski fahren – und just in diesem Winter scheint die ganze Nation das Skifahren als identitätsstiftende Massenbewegung wiederzuentdecken. Wehe, man darf sich nicht zu hundert in die Gondeln drängeln. Dem Virus ist es egal, wo wir uns zusammenrotten. Hauptsache es ist kalt, eng und stickig.
Und wie wäre es mit etwas mehr Gleichmut, wenn uns Ärzte, Virologen, Journalisten und auch Verschwörungsanhänger mit nicht überprüfbaren, verwirrenden oder recht wunderlichen Informationen volltexten? Natürlich gibt es inzwischen etliche wissenschaftliche Erkenntnisse, die allerdings zum Teil in den letzten Monaten wieder revidiert werden mussten. Genauso gibt es aber bewährte Massnahmen, die sich für die Unterdrückung von Krankheiten seit Jahrhunderten bewährt haben: Abstand halten, Hände waschen, Masken tragen, sich isolieren, wenn man krank ist.
Mit Gleichmut etwas zu ertragen, verhilft zu der Gelassenheit, auch das Nichtwissen auszuhalten. Wir wissen nicht, wann das Virus weg sein wird, ob die Impfung uns für immer schützen oder ob sie Nebenwirkungen haben wird. Auch das ist dem Virus so lang wie breit. Aber mit unserer jammernden Unzufriedenheit über die Schutzmassnahmen machen wir uns kränker, als es das Virus könnte. Mein Wunsch für 2021: Mit etwas Vernunft zu mehr Seelenruhe.
Riccarda Mecklenburg, Founder CrowdConsul.ch


Du Niete, wieder nicht gewonnen


Bigotte Moral


Weg mit der Heiratssteuer
Heiraten, Familie gründen, Karriere verfolgen ist für Schweizer Männer okay. Für Frauen eher nicht. Denn es gibt noch immer typische helvetische Hindernisse, die einer Frau in den Weg gelegt werden, die nicht nur einfach Mutter sein will, sondern auch ihre Karriere im Fokus hat.
Zum Beispiel, dass Eheleute gemeinsam veranlagt werden und die Progression das wegfrisst, was gemeinsam erwirtschaftet wird. Ich weiss es noch wie heute, dabei ist es 20 Jahre her, als der Steuerberater mir sagte: «Es lohnt sich nicht, wenn Sie weiterarbeiten. Sie und ihr Mann müssen zu hohe Steuern bezahlen.»
Der Schock, dass ich, weil ich Mutter wurde und einen anspruchsvollen Managementjob hatte und der Ehemann als Unternehmer erfolgreich war, nun Vollzeitmami werden musste, war gross. Ich dachte sofort an meine Urgross- und Grossmutter. Beide hatten in Estland ihre Landgüter mit einer grossen Schar Kinder geführt. Meine Mutter kannte ich nur arbeitend in Deutschland – und nun sollte ich in der Schweiz mit Kindern rumsitzen? Ich fühlte mich abgewertet. Ständig musste ich mich rechtfertigen, weil ich arbeiten wollte. Und zwar weiterhin in meiner Position mit hundert Prozent. Ich habe es trotzdem gemacht und mehr Steuern bezahlt.
Für diesen Weg entscheiden sich aber nicht viele Frauen. Jahre später hatte ich frustrierte Mütter um mich, die keinen Wiedereinstieg in die Arbeit mehr fanden oder – wenn sie es schafften – klassische Bullshit-Jobs erledigen mussten. Ein Ausweg bietet die Selbständigkeit. Deswegen haben wir im Verband Frauenunternehmen sehr viele Unternehmerinnen mit kleinen Kindern. Aber das sind alles Ausweichstrategien, weil das Schweizer Steuerrecht keine Individualsteuer zulässt, sondern die gemeinsame Besteuerung verlangt.
Die sogenannte Heiratssteuer widerspiegelt ein Familienmodell, das nicht mehr in die Gegenwart passt. Daher ist es zu begrüssen, dass die FDP-Frauen zusammen mit Alliance F zum 50. Jubiläum des Frauenstimmrechts 2021 eine Volksinitiative zur Einführung der Individualsteuer lancieren. Durch die Individualsteuer werden berufstätige Ehefrauen nicht mehr steuerlich benachteiligt – und es lohnt sich für sie zu arbeiten. Als Folge würde sich hoffentlich auch die Diversität auf allen Kaderstufen verbessern, weil mehr Frauen im Job bleiben könnten. Die wohlfeile Ausrede, es fehle an qualifizierten Frauen würde dann genauso obsolet wie die ungerechte Heiratssteuer.
Riccarda Mecklenburg, Verband Frauenunternehmen, Founder CrowdConsul.ch