«Er startete als Genie und endete als Talent», ist eine Floskel, die man gerne fallen lässt, um einem Unliebsamen den Todesstoss zu verpassen. Der Fall ist tief und der Hohn ist süss. Dabei wären die meisten Unternehmen schon froh, wenn sie die Talente hätten, die sie händeringend suchen. Lieber ein gefallenes Genie, als gar kein Talent. So der sarkastische Umkehrschluss. Doch warum gibt es so viele Unternehmen, die Talente rausekeln oder ziehen lassen? Weil sie meinen, sie können es sich leisten, ist die simple Antwort. Weil sie meinen, sie bekommen ratzfatz, wieder ein neues, junges Talent oder sogar Genie.

Das war mal so und ist noch heute die überoptimistische Annahme der HR-Chefs, aber die Zeiten sind vorbei. Heerscharen von Babyboomern gehen, haben genug Geld verdient oder sind zu früh ausgemustert worden und sind jetzt zu teuer für eine Nachqualifikation. Und der Nachwuchs ist knapp. Der COVID-Lockdown hat die Situation etwas vernebelt, weil wir im Krisenmodus waren. Aber die Wirtschaft wird sich schnell erholen. Am Flughafen ballen sich die Reiselustigen, die Kauffreude ist wieder da, die Restaurants sind voll. Und die Wirtschaftsprognosen zeigen nach oben, auch wenn die Berufspessimisten meinen, es wird noch ganz, ganz schlimm. Aber das ist einfach ihr Berufsethos, der sich in diesen Szenarien widerspiegelt. Das Drama ist in Wahrheit der Arbeitskräftemangel, der unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand bedroht. Ein Blick nach Deutschland zeigt, was für ein gravierender Fachkräftemangel sich ausbreitet.

Also sind wir mal besser gnädig mit den gefallenen Genies, den höchstens in Teilzeit Arbeitswilligen, den Schwierigen, den bescheidenen Fleissigen, den Ambitionslosen und jenen mit der freizeitorierentierten Schonhaltung. Ob Frauen oder Männer. Wir werden sie alle brauchen. Denn jetzt beginnt ein neues, spannendes Experiment in unserem Wirtschaftsleben, das so noch nie gab: Wenn viele viel konsumieren wollen, aber zu wenige bereit sind, diese Bedürfnisse zu erfüllen und die Digitalisierung sowie die Automation diese Lücken nicht füllen werden. Die künftigen Superhelden der Chefetage werden die Motivations- und Empathiekünstler sein, früher auch mal Menschenfischer genannt, die es schaffen, aus Ambitionslosen Talente zu machen und diese zu halten.

Riccarda Mecklenburg, Präsidentin Verband Frauenunternehmen, Founder What the Hack