Vor fünf Wochen wurde über die Begrenzungsinitiative der SVP abgestimmt. Im Abstimmungswahlkampf hatte die SVP mit einem Schweizer Mädchen geworben und eine breite Ablehnung kassiert, weil sie für ihre Initiative ein Kind einsetzte. Nun stimmen wir über die Konzerninitiative ab – und es schauen uns von den Plakaten ebenfalls wieder traurige Mädchengesichter in desolaten Umgebungen entgegen. Die Manipulation unserer Emotionen mit Kindern ist platt, aber wirkungsvoll. Wer will schon Kindern Leid antun? Nur, dieses Mal gibt es keinen Aufschrei. Bigotte Moral? Kinder und SVP gehen nicht. Aber linke Anliegen und Kinder gehen problemlos. Dabei steht unter den Plakaten ganz klein, dass es Symbolbilder sind und inzwischen weiss man auch, dass die Gesichter und die Hintergründe frei von der Werbeagentur zusammengewürfelt wurden. Die Fotomontagen zeigen indische Kinder auf Maisfeldern im Bundesstaat Iowa, bedroht von einem Sprühflugzeug mit Chemikalien. Das nennt man heute Fake News. Früher hiess das Propaganda und noch früher hiess das: Du sollst nicht lügen. Genauso manipuliert ist das Bild eines traurig dreinblickenden, schmutzigen Mädchens mit einer stillgelegten Mine im Hintergrund. Auch das ist robuste Fotomontage, in der Realität stand es vor einem Sportplatz. Die Initianten verlangen, dass ethische Mindeststandards von der Schweizer Wirtschaft eingehalten werden sollen. Aber in ihrer Kampagne wird tief in die hypermoralische Mottenkiste gegriffen, frei von Wahrheit; die müssen nur die anderen einhalten. Im Grund genommen geht es bei der Konzerninitiative um unseren persönlichen Ablasshandel. Jede Tafel Schokolade kann Kinderarbeit beinhalten, wie auch günstig erworbene T-Shirts. Aber wer entscheidet sich für Fair-Trade-Produkte und verzichtet auf billige Kleidung? Alle Unternehmen, nicht nur Konzerne, sollen garantieren, dass ihre Lieferketten bis in die dunkelsten Winkel der Produktion korrekt sind. Das versuchen auch die meisten Unternehmen, die ihre Social-Responsibility- und Compliance-Reports nicht als Feigenblatt verstehen. Die selbstverpflichtenden Anstrengungen steigen. Aber der Impetus der Moralisierung ist stärker und lieber delegieren wir mit einem moralischen Kreuzchen auf dem Abstimmungszettel unsere Verantwortung, als unser Konsumverhalten wie die Sucht nach dem neusten Prestige-Handy zu hinterfragen. Riccarda Mecklenburg, Vorstand Verband Frauenunternehmen, Founder CrowdConsul.ch FF1D3117-4181-4BDA-A5F3-D8BFA2D7DE0E