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Freunde fürs Leben

«Expats klagen über die Unfreundlichkeit der Schweizer», tönte es wieder in den Schlagzeilen der Medien. In Punkto Sicherheit, Transport und Lebensqualität sei die Schweiz top, aber beim Anschluss finden oder Freundschaften schliessen, ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Der drittletzte Platz bei 68 befragten Ländern ist ein klares Urteil von den Edel-Arbeitsnomaden. Auf diesem landete die Schweiz auch schon im vergangenen Jahr. Es ist also kein Ausrutscher, sondern Tatsache. Schlimmer geht es nur in Dänemark und Schweden zu. Die teilen sich die letzten Plätze. Nun könnte man ihnen beleidigt zurufen: «Es gibt keinen Grund, mit Ausländern freundlicher umzugehen als mit den eigenen Leuten.» Und da wären wir genau beim wunden Punkt. Freundlichkeit und Freundschaft brauchen bei uns Zeit. Aber um das zu erkennen, muss man fünf bis sechs Jahre hier ausharren. Aber bis dann sind die meisten Expats schon wieder weitergezogen.

In diesem Zeitraum lernt man die zurückhaltenden fast kryptischen Sympathiebekundungen der Einheimischen zu verstehen. Etwa die schüchterne Frage eines Schweizers, wie es in den Ferien gewesen sei? Wehe man antwortet: der Urlaub war schön. Da beginnt schon das Problem. Es heisst Ferien und nicht Urlaub. Und damit ist die Konversation beendet. In einem Jahr gibt es einen vielleicht einen nächsten Versuch. Aber bis dahin pausiert mal das Interesse. Und auch der schnelle Wechsel ins Englische nur weil man merkt, dass der andere kaum Deutsch kann, heisst auf keinen Fall: Ich möchte mich länger als notwendig mit Dir unterhalten. Es heisst einfach nur, ich kann auch Englisch. Vielleicht sollte man den Expats erklären, dass sie unbedingt gesellschaftlich aktiv werden sollten, wenn sie schnell Fuss fassen möchten. In einen Verein eintreten, sich in der Schule engagieren, in der Gemeinde, wo man wohnt, mitmachen. Das sind die Engagements, bei denen man schnell Wertschätzung erfährt. Es braucht also mehr soziale Interaktion als nur der Besuch von Firmenanlässen oder offiziellen Apéros. Bringt aber viel. Denn dann hat man Chance, in die sublimen Sprachgeheimnisse und die  Freundschaftsrituale der Einheimischen einzutauchen. Und findet vielleicht Freunde fürs Leben.

Riccarda Mecklenburg,